Uns fehlt die Kraft für Vorsätze

oder: Begrenzte Menschen mit dem Vorsatz, eine gerechtere Welt zu schaffen

Ein Mensch hat nicht unendlich viel Kapazitäten. 
Eine absolute Binsenweisheit, doch wir müssen sie uns immer wieder noch einmal präsent machen. Wir sind also weder körperlich noch mental noch sozial etc. unbegrenzt. 
Das ist erst mal nicht nur ein Fakt, sondern hat auch eine moralische Komponente: ein begrenzter Mensch ist nämlich auf andere angewiesen und damit auch darauf angewiesen, dass andere sich ihm gegenüber gerecht verhalten. 
Doch allen ist klar, dass das nicht der Fall ist. Gerade deshalb gibt es ja Worte wie z.B. Sexismus, Ableismus, Adultismus und Rassismus. Mit ihnen werden nicht nur individuelle Ungerechtigkeiten benannt, sondern solche, die sich über lange Zeiträume in den Strukturen unserer Gesellschaft verewigt haben. Aber wir wollen diese zerstörerischen Haltungen gegenüber Menschen nicht ewig gelten lassen. 
Nein, wir haben den festen Vorsatz, für eine gerechtere Gesellschaft einzutreten.
Also, sagen wir: viele Menschen, denen ich begegne, haben das als festen Vorsatz. 
Und zwar nicht nur zu Neujahr, sondern die ganze Zeit. Insbesondere (junge) Familien in den Bubbles, in denen ich unterwegs bin, beschäftigen sich mit diesen Themen. Für die Kinder soll diese Welt eine bessere Welt werden! Und das am besten so schnell es geht. Vielleicht, ganz vielleicht, müssen sie dann nicht mit all dem Ballast aufwachsen, den diese Ideologien in uns hinterlassen haben.
Und so kommen wir vor allem für (junge) Familien zu folgender Situation:
in einer immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Situation – deren Bewältigung uns an sich schon viel Kraft kostet (mental und sozial und digital und körperlich!),
werden bisherige Ordnungen und Orientierungslinien – die trotz aller Ungerechtigkeit Halt gegeben haben und die Anforderungen an einzelne Personen durch Rollenerwartungen klar begrenzt haben – hinterfragt und aufgehoben, um neu geordnet zu werden: in der Paarbeziehung, in der Elternschaft und Eltern-Kind-Beziehung und Erziehung, in der Erwerbsarbeit, in Freundschaften und so weiter!
Diese Prozesse erfordern jeder für sich Kraft, Willen und Durchhaltevermögen. Und zwar doppelt, weil es nicht nur um eine Veränderung von Verhalten geht, sondern weil Emotionen eine sehr wichtige Rolle spielen und Emotionen sind UNFASSBAR anstrengend! Und das alles eben in einer immer komplexeren und vernetzteren Welt, in der diese Fähigkeiten an allen Ecken und Enden gefordert sind. 
Aber sie sind doch auch einfach begrenzt! Und zwar so was von! 
Wir haben nur eine bestimmte Menge in Reserve (gehabt). 
Sie sind (irgendwann?) aufgebraucht. 
Und sie müssten, nein sie MÜSSEN aufgefüllt werden. Und zwar nicht für irgendwelche zusätzlichen Vorsätze, sondern für die, die wir eh schon gefasst haben.
Gesellschaftlich.

(Dass gesellschaftlich sehr unterschiedliche Vorsätze gefasst werden und gerade deshalb dieser Prozess auch viel Kraft kostet, steht noch mal auf einem anderen Blatt. Es würde schon reichen, wenn wir uns alle einig wären – selbst dann ist die Veränderung einer Gesellschaft ein kräfteraubendes Projekt und das umso mehr, als wir gerade so tiefgreifende Veränderungen vorantreiben wollen!)

Und deshalb fehlt uns die Willenskraft für noch mehr Neujahrsvorsätze. Oder sie lauten eben
mehr für mich
Aber sie erfüllen sich nicht. Das ist eigentlich nicht verwunderlich, denn die Veränderung einer Gesellschaft ist nicht nur ein Fulltime-Job, sondern eine Lebensaufgabe. 
Fast so, wie Kinder haben und gleichzeitig erwerbsarbeiten. 
Wait – genau das ist es, was viele (junge) Eltern gerade auch noch tun!
Nein, es ist kein Wunder, dass keine Kraft mehr da ist für andere Neujahrsvorsätze als für „Basics des Menschseins“: Erholung und Pause. Aber was verwunderlich ist – und tatsächlich ein Problem, wenn auch eines, das wir lösen können:

Wir haben keinen Plan, wie wir die Vorsätze in die Realität umsetzen!

Und ich meine jetzt nicht die Vorsätze zur Veränderung der Gesellschaft, dafür gibt es einen Haufen Pläne und sie beginnen bei den Kindern. (Was übrigens die effektivste Methode ist, eine Gesellschaft zu verändern. Wussten leider auch die Nazis.) 
Nein, für die Abschaffung von Rassismus, Sexismus, Ableismus, Adultismus und so weiter haben wir einen Plan, nämlich Bildung und Erziehung. (Und ein guter Teil abwarten.)
Aber wir haben keinen Plan, wie wir das durchhalten sollen. Oder sagen wir: Der bisherige Plan (die Arbeit gerechter aufteilen) hat sich als Trugschluss erwiesen. Geteilte Care-Arbeit ist nämlich ziemlich lange erst mal (oder dauerhaft?) nicht halbe, sondern doppelte Care-Arbeit! Nicht nur für die Frauen, deren Mental Load sie in vielen Momenten an den Rand der Verzweiflung bringt, sondern auch für die Männer, die die Doppelbelastung von Care- und Erwerbsarbeit ziemlich unmöglich finden! 
Langsam sickert die Erkenntnis durch, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer eine Veränderung der Arbeitswelt und des Bildungs- und Betreuungssystems bedeuten muss. Und diese Erkenntnis hinterlässt angesichts ihrer Tragweite, ihrer Dringlichkeit und der Zeit, die es dafür brauchen wird, den perfekten Nährboden für ein Burnout.
Eltern, Mütter brennen aus, weil für diesen langen Veränderungsprozess nicht genügend Kraft da ist, nicht genügend Motivation, nicht genügend Support, nicht genügend Anhaltspunkte für Erfolg. Ein Burnout entsteht vor allem in der Diskrepanz zwischen Erwartungen/Hoffnungen und der übermächtigen Realität. Und diese Kluft ist in unserer Gesellschaft gefühlt so groß wie die Kluft zwischen Arm und Reich.
Dabei stimmt das gar nicht. Wer die heutige Gesellschaft mit der von vor 20 oder 30 Jahren vergleicht (was im Zeitlauf der Geschichte eine doch sehr kurze Zeitspanne ist), der entdeckt viele Veränderungen – auch ins Positive! Insbesondere in Bezug auf die Gleichberechtigung hat sich viel getan. Nein, wir sind noch nicht da angekommen, wo wir hinwollen, aber: wir dürfen uns in unserem Bemühen und Abmühen um eine bessere Gesellschaft Pausen gönnen. Uns – und allen anderen.

Wir müssen es sogar.

Was wir brauchen, ist so etwas wie eine Wachstumspause. Ein Hinterherkommen. Ein „Halten, was schon geschafft wurde“. Lieber „stetig“ als „schnell“ wachsen. In wirtschaftlicher Hinsicht wissen wir, dass wir das anstreben sollten. Aber auch in gesellschaftlicher? 
Wir brauchen Atempausen, denn der Weg, der noch vor uns liegt, wird noch eine ganze Weile dauern. Wir können ihn nicht als Sprint hinter uns bringen (obwohl das meine liebste Form ist, Herausforderungen zu bewältigen). Es ist auch kein Marathon, denn auch das ist ein Gewaltakt, auf den der Körper im Training vorbereitet wird. Aber wir sind untrainiert und eher auf einer Wanderung als bei einem Sportevent (und das nicht nur, weil ich Sport nicht so gerne mag). Ich möchte sogar das Wort „Spaziergang“ dafür wählen – allerdings weder in der Bedeutung, wie es von einer bestimmten Gruppierung verfremdet wurde, noch in der Bedeutung, als sei es ein leichter Weg.
Aber auf einen Spaziergang können wir viele Menschen einladen. Und dann wählen wir Pausen strategisch geschickt: an den schönsten Punkten des Weges.
Dann, wenn man in die Weite schauen kann und einen herrlichen Ausblick genießt.

Und das ist ein Plan, den auch Du für dieses Jahr fassen kannst.

Der, wenn viele von uns ihn fassen und umsetzen, nachhaltige Veränderung in der Gesellschaft bringen kann: Mach Pausen an der richtigen Stelle. Dann, wenn es am schönsten ist. Schau in Deinen Kalender, in Deinen Wochenplan, in die verschiedenen Monate, in das Jahr. Und such Dir die schönsten Momente für Pausen raus. Plane sie ein. Und tracke nicht, ob Du es geschafft hast, sie einzuhalten. Sondern wenn sie dran sind, entscheide Dich „JETZT“ dafür. Damit Du Deine eigentlichen, großen Vorsätze schaffen kannst: eine gerechtere Welt für unsere Kinder.
Um Deine Vision, Deinen Beitrag und Deine Pausen geht es wieder im Jahr 2025 im Kurs „Fokussiert leben“.

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