Wie leben wir Elternschaft?

In den meisten Familien ist mit der Geburt des ersten Kindes die Mutter die meisten Stunden am Tag beim Kind und damit auch nah am Baby dran. So war es zumindest bei uns und so ist es nach wie vor in den meisten Familien in Deutschland im ersten Lebensjahr. Zum Glück ist gleichberechtigte Elternschaft dennoch zum Thema geworden und es ändert sich Manches. Viele Väter verbringen mehr und mehr Zeit mit ihren Kindern, übernehmen Elternzeiten und Vätermonate oder teilen sich Care- und Erwerbsarbeit gleichmäßig mit ihren Partnerinnen auf. Trotzdem gibt es insgesamt gesehen weiterhin ein gesellschaftliches Ungleichgewicht. Care- oder Sorgearbeit ist in den allermeisten Köpfen einfach der Job der Frau. 

Ich selbst habe in unserem Familienalltag erst nach und nach realisiert, welche Rolle ich eingenommen hatte und wie wir unsere Elternschaft lebten. Durch viele Gespräche und unter anderem die Inanspruchnahme einer wirklich guten Beratung, bekamen wir Schritt für Schritt neue Ideen, wie wir unsere Elternschaft anders leben können und wie wir sie so gestalten können, dass sie uns entspricht und nicht nur alte und bewährte Muster weiterführt. Ein paar Schritte, die wir auf diesem Weg gegangen sind, möchte ich hier nachzeichnen.

Schritt 1: Realisieren, wie wir Elternschaft leben

Wir mussten erst einmal realisieren, in welche Rollen wir durch unsere Elternschaft gerutscht waren. Ich vertrat als Mama relativ dominant meine Meinung zu allen Themen, die die Kinder betrafen. Schließlich hatte ich durch die viele Zeit mit ihnen die meisten Erfahrungen gesammelt und wusste einfach, was funktionierte und was eben nicht. Mein Mann hatte auch viele gute Ideen und wir diskutierten auch Manches aus, aber in der Alltagspraxis war meistens ich diejenige, die die guten Ideen realisierte und daher auch entschied auf welche Art und Weise. 

Schritt 2: Gleichberechtigung von Ideen und Erziehungsansätzen

Ich als Frau/Mama wollte und musste lernen, dass mein Mann die Dinge, die unsere Kinder betreffen mindestens genauso gut macht und kann wie ich. Er macht sie anders und das ist gut so. Also halte ich mich raus, wenn er den Rucksack für den Ausflug packt und diktiere ihm nicht meine Packliste. Ich halte mich auch raus, wenn er mit den Kindern überlegt, was sie machen wollen und gebe nicht meine ach so guten Ideen weiter. Mein Mann braucht genau wie ich Zeit, um Erfahrungen mit den Kindern, dem ganzen Care-Kram, der Haus- und Gartenarbeit zu sammeln. Das ist für uns alle wichtig. Mir gibt es Freiraum, ihm mehr Aufgaben und die Kids profitieren von seiner anderen, oft entspannteren Art. Sie fragen auch nicht mehr immer mich um Rat, sondern auch ihn. Es macht also NUR SINN, dass wir uns anders aufteilen. Zeitmäßig und auch aufgabenmäßig.

 

Schritt 3: Abgeben lernen

Mein nächster Lernschritt war das Abgeben zu lernen. Ich bin immernoch der festen Überzeugung, dass ich das was ich mache, ziemlich gut mache und ich gebe nicht so gerne Aufgaben ab. Was die Kinder und all die Care-Arbeit betrifft, war das einfach auch eine lange Zeit mein Job. Unbezahlt und oft ungesehen, aber dann wollte ich ihn wenigstens gut machen. Ja und jetzt abgeben? Hm, gar nicht so einfach. Ich merke plötzlich, dass ein Stück von meinem Selbstwert an manchen Aufgaben hängt. Wie verrückt. Als ob es mich zur besseren Hannah macht, dass mein Kind eine selbstgenähte Schultüte hat oder dass ich auch wirklich alles von den langen Listen für Kita- und Schulstart rechtzeitig besorgt habe. Ich habe einen hohen Anspruch an mich und der wird leider durch den Vergleich mit anderen nicht gerade kleiner. Da ist dieses latente Konkurrenzding unter Müttern – oder unter Eltern? Die schönste Schultüte, das pastellfarbenste Zuhause, die bravsten oder selbstbewusstesten Kinder, … Die Liste ließe sich locker noch eine Weile fortführen. Aber das wäre ein neues Thema. Ich realisierte jedenfalls, dass mir das Abgeben aus verschiedenen Gründen gar nicht so leicht fiel, wie ich dachte.

Schritt 4: Alles in MEINEM kopf?!

Aufgaben abgeben, heißt Infos teilen. Beim Aufgaben aufteilen haben wir festgestellt, dass mein Mann zu vielen Informationen gar keinen Zugang hatte. Ihm fehlten die Handynummern der Mamas (!) der Freunde unserer Kinder, um Verabredungen auszumachen. (Tatsächlich sind es im ganzen Freundeskreis genau zwei Papas, von denen ich die Nummern habe und die ich zur Terminkoordination anschreibe.) Viele Infomails aus Schule, Kita und Betreuung bekam mein Mann nicht, weil er nicht im Verteiler war. Das ließ sich leicht ändern. Weiter ging es dann mit Informationen zu unserer regelmäßigen Wochenplanung, von denen ich dachte, die hätte mein Mann alle. Wer ist wann in welcher Turn- oder Singgruppe, muss wann wo abgeholt oder hingebracht werden, macht welchen Weg wann und warum selbst? Wow. All das war in meinem Kopf. In seinem nicht. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich von einem gemeinsamen digitalen Kalender überzeugen ließ. Aber nur digital festzuhalten, was wann ist, reicht nicht aus. Dazu gibt es viel zu viele spontane Änderungen und Termine außer der Reihe.

Schritt 5: Wir brauchen Besprechungszeit

Bei so vielen Koordinationsaufgaben braucht es regelmäßige Treffen, um zu besprechen was ansteht. Unsere sind jetzt sonntagabends. Wir sprechen die kommende Woche durch und sortieren, was ansteht und wer was übernimmt. Wer macht was? Warum? Und warum gerade nicht? Wer hat welche Zeiten bei den Kindern? Wer geht wann arbeiten? Wann sind die Kinder wie lange betreut?

 

Es braucht viel Zeit, den Alltag anders zu strukturieren, aber es lohnt sich sehr. Um viele Dinge muss ich mich inzwischen einfach nicht mehr kümmern und sie verschwinden aus meinem Kopf. Wie befreiend. Wenn es passt, treffen wir uns auch sonntags am späten Nachmittag/frühen Abend als ganze Familie am Esstisch, knabbern etwas Leckeres und besprechen gemeinsam, was war und was in der nächsten Woche kommt. Die Kids wollen meist gern wissen, was wann ansteht und dürfen ihre Wünsche, Fragen, Anliegen loswerden. Manchmal malen oder schreiben sie es auch in ihren eigenen Wochenplan, der in der Küche hängt. Auch wir Eltern sagen, was uns wichtig ist. So verteilen wir hier bspw. die Aufgaben, die die Kinder monatsweise fest in unserem Alltag übernehmen. Wir sind mehr im Austausch miteinander und das führt dazu, dass sehr viele der Aufgaben, die ich als Mama oft selbstverständlich und stillschweigend übernommen habe, sichtbar werden und von den anderen Familienmitgliedern wahrgenommen oder auch übernommen werden. Wie gut!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

innehalten | Impulse sammeln
gemeinsam handeln

Kontakt