Unser eigentliches Problem mit Neujahrsvorsätzen

Das Problem an Neujahrsvorsätzen ist nicht, dass wir keine Lust auf sie hätten. 
Zumindest die meisten Menschen würden schon gerne etwas in ihrem Leben anpassen und verbessern. Und zwar weit entfernt vom Selbstoptimierungswahn, einfach nur … sich weiterentwickeln, vorwärts kommen, nicht stehen bleiben. Mensch sein halt, immer in Prozessen. Selbst diejenigen, die Veränderungen nicht mögen, sondern fürchten, verändern sich ja. Einfach, weil sie leben. Alter und Erfahrungen verändern uns. All das, was uns passiert, was um uns herum und in uns geschieht, führt zu Entwicklungen. Und die würden wir manchmal gerne steuern, indem wir uns etwas vornehmen, wer und wie wir sein wollen. Indem wir also Vorsätze fassen. 
Also nein, die fehlende Lust auf Vorsätze ist nicht das Problem, das wir mit ihnen haben.

 

Auch unsere fehlende Kontinuität ist nicht das Problem. 
Nicht wirklich zumindest. Denn Abbruch und Neustart gehören zu den Prozessen von neu und umlernen dazu! Scheitern und wieder aufstehen, sind nicht erst seit dem Spruch mit dem „Krone richten“ ein Teil von Entwicklung. Das wissen wir im Prinzip alle, auch wenn es gut tut, sich das in der Leistungs- und Social-Media-Welt immer wieder vor Augen zu führen und sich daran zu erinnern. 
Also nein: Die fehlende – oder besser gesagt: unterbrochene – Kontinuität ist auch nicht an sich ein Problem.

 

Selbstgespräche über die unterbrochene Kontinuität können zu einem Problem werden. Denn das Tracken von „Erfolg“, also ob man es heute geschafft hat, sein Ziel zu erreichen, ist ein beliebtes und sehr gehyptes Tool, um die Kontinuität sichtbar zu machen. 
Allerdings kann es sowohl hilfreich als auch schädlich für die Motivation wirken: so lange es nämlich gelingt, ist es sehr motivierend. 
Aber die Lücken in den Reihen (und sie werden unweigerlich kommen) sprechen ihre ganz eigene Sprache und sind manchmal sehr laut: 
„Das schaffst Du eh nicht durchzuhalten!“ 
„War ja klar, dass Du heute gekniffen hast. Pass auf, morgen überwindest Du Dich auch nicht!“ 
Je nach Persönlichkeitstyp und Übung in Selbstgesprächen ist es dann hilfreicher, nicht zu tracken und dabei zu prüfen, wie lange man es schon geschafft hat, sondern stattdessen nur vom „Heute“ auszugehen: Heute ziehe ich durch, was ich mir vorgenommen habe. 
Oder auch nur vom „Jetzt“: „Egal, was bisher war und egal, was ich nächstes Mal mache: in diesem konkreten Moment, in dem mir einfällt, was ich mir vorgenommen habe, setze ich es um!“ Tschakka!
Also ja: Selbstgespräche können ein Problem bei Neujahrsvorsätzen sein oder werden.

 

Meistens meinen wir übrigens diese Selbstgespräche, wenn wir vom „inneren Schweinehund“ sprechen. Denn der innere Schweinehund ist eine Stimme, die uns zu Bequemlichkeit überreden will. Der Teil von uns, der nach dem Weg des geringsten Widerstands sucht. Wir schätzen oft gar nicht, was wir dem inneren Schweinehund von Menschen verdanken. Wie viele Erfindungen sind ihm wohl geschuldet, weil mensch aus lauter Bequemlichkeit nach einfacheren Lösungen gesucht hat?! Also nein, der innere Schweinehund muss nicht ein Problem sein bei den Neujahrsvorsätzen. Muss nicht – ist aber oft, das gebe ich zu.

 

Das, was das eigentliche und größte Problem in Bezug auf Neujahrsvorsätze und Unterjahresvorsätze ist, hat viel oder vor allem mit den Belastungen des Alltags zu tun.
Und nein, das wird hier keine „die-Umstände-sind-schuld“- Ausrede, sondern ein nüchterner Blick darauf, warum wir zwar viel über Neujahrsvorsätze sprechen, aber sie schnell als „ist doch nur der Selbstoptimierungswahn“ wieder an die Seite legen. 
Es ist ein empathischer Blick auf all jene, die daran verzweifeln, dass ihre Vorsätze im Sinn von „mehr Pausen, mehr Freizeit, mehr Erholung“ scheitern. 
Es ist ein kritischer Blick auf die Effekte von gesellschaftlichen Prozessen, die ich an sich positiv finde – aber die in ihrer Wirkung (bisher) nicht uneingeschränkt positiv sind. 
Der Feminismus steht dabei an ganz prominenter Stelle – sage ich als Feministin. 
Im Prinzip sind es meiner Meinung nach unsere gesellschaftlichen Vorsätze, die vielen Menschen in (jungen) Familien ihre eigenen, individuellen Vorsätze vollkommen unrealistisch vorkommen lassen. Und weil das so ist, können wir auch nur gemeinsam und gesellschaftlich eine Lösung dafür finden. 
Warum sollten wir uns dieser Aufgabe widmen? Weil vielen Menschen die Kraft ausgeht. Und das ist das eigentliche Problem an (Neujahrs-)Vorsätzen:

 

Uns fehlt die (Willens-) | Kraft, sie mitten in den Belastungen unserer Gesellschaft durchzuziehen.

Warum das kein Vorwurf ist, sondern eine ganz logische Konsequenz, liest Du im nächsten Beitrag.

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