Sicher in meiner Identität
Identität ist ein sehr abstrakter Begriff. Die meisten Erwachsenen können nicht gut erklären, was eigentlich konkret damit gemeint ist und erst recht nicht, wann sie sagen können „Ich fühle mich sicher in meiner Identität„.
Am einfachsten ist Identität wahrscheinlich mit dem Personalausweis zu erklären:
Am einfachsten ist Identität wahrscheinlich mit dem Personalausweis zu erklären:
Er bestätigt nämlich, dass ich bin, wer ich zu sein behaupte.
Ich bin mir sicher in meiner Identität und alle anderen sind sicher, dass ich ich bin.
Und genau darum geht es bei Identität: Bin ich „ich“?
Wer sollst Du denn sonst sein?!, könnte man jetzt fragen.
Ich finde das eine gute Frage. Tatsächlich gibt es aber gar nicht wenige Menschen, die sagen Sachen, die klingen wie „Ich bin gar nicht so richtig, wer ich eigentlich bin oder sein möchte. Ich bin so, wie andere mich haben möchten! Das fühlt sich nicht gut an.“
Sie sagen: „Ich bin mir nicht sicher in meiner Identität.“ Das kann verschiedene Gründe haben und verschiedene Dinge bedeuten. Das hier sind ein paar Beispiele:
unsichere Identität
Stell Dir vor, jemand kann sehr gut malen und Musik machen. Wenn diese Person über sich nachdenkt, sagt sie: „Ich bin ein Künstler!“ Aber anderen gegenüber zeigt dieser Mensch nie sein Können und beschreibt sich nie laut mit diesen Worten.
Dann ist die Identität, die der Mensch sich selbst gibt eine andere als die, die er oder sie nach außen ausdrückt.
nicht anerkannte Identität
Oder die Person sagt: „Ich bin eine Künstlerin!“ und die Leute in ihrem Umfeld lachen und sagen: „Du? Niemals! Du bist doch mehr eine Bäckerin.“ Zum Beispiel.
Das wäre ja ganz schön abgefahren, das so zu sagen, aber manchmal passiert das eben. Und dann wird dem Menschen von anderen eine ganz andere Identität zugesprochen, als sie sich selbst zuspricht.
Wenn dann die anderen Menschen noch die Stifte oder Musikinstrumente wegnehmen, so dass die Künstlerin gar nicht mehr ihrer Identität als Künstlerin Ausdruck verleihen kann, dann ist das doppelt gemein.
falsche Identität
Eine andere Person kann vielleicht überhaupt nicht gut malen oder Musik machen. Menschen sagen ihr: „Hey, Du kannst vielleicht nicht gut malen oder Musik machen, aber wenn Du rechnest, komme ich nicht mehr hinterher, so gut bist du!“ Wenn der Mensch dann zu sich selbst sagt: „Pff, die anderen verstehen es einfach nicht, dass ich ein Künstler bin!„, und hört auf zu malen, dann findet die Person ihre Identität mehr darin, nicht verstanden zu werden als darin, ein Künstler zu sein. Denn ein Künstler würde einfach weitermachen.
Wer ich bin, zeigt sich also an dem, was ich tue, denke und sage:
Meine Identität findet darin einen Ausdruck.
Und wer ich bin, hat auch mit dem zu tun, was andere und ich selbst über mich sagen:
Meine Identität wird mir zugesprochen.
Wenn der Ausdruck und der Zuspruch bei einem Menschen identisch sind, ist die Person sicher in ihrer Identität.
Aber wenn sie nicht identisch sind, also nicht übereinstimmen, dann haben wir alle ein Problem.
Denn das macht auf Dauer unzufrieden und unglücklich.
Lösung 1: Zuspruch ändern
Eine Lösung kann darin bestehen, dass dem Menschen etwas anderes, passenderes zugesprochen wird.
Aber bitte nur dann, wenn es die Wahrheit ist. Wenn sich alle täuschen, ist das blöd.
Im Beispiel: Wenn jemand gar keine Lust hat auf etwas Künstlerisches (wie malen oder Musik machen), aber sich Künstlerin nennt, wäre es komisch, das zu bestätigen. Dann ist eher die Frage: Warum möchte die Person sich gerne Künstlerin nennen?
Ganz besonders ist es, wenn jemand einem Menschen eine Identität zuspricht und die Person sich darin wiedererkennt, ohne das vorher gewusst zu haben. Also wenn jemand einen anderen Musik machen hört und sieht und hinterher sagt: „Wow, Du bist eine echte Künstlerin!“ Und dann denkt die Person: „Ach, wirklich? Wie schön! Das wusste ich noch nicht, aber ja: das passt zu mir!„
Lösung 2: Ausdruck ermöglichen
Eine andere Lösungsidee wäre, einem Menschen mehr Freiraum zu geben, damit er oder sie ihrer Identität Ausdruck geben kann.
Wenn jemand etwas Künstlerisches tun will und darunter leidet, dass er oder sie keine Farben und Pinsel oder kein Musikinstrument hat, also diesem Teil von sich keinen Ausdruck geben kann, dann wäre es sinnvoll, das Material zu besorgen.
Vielleicht sagt jemand nicht, was er oder sie eigentlich über sich denkt, weil er oder sie Angst hat, dass andere darüber lachen. Da kann es helfen, über viele verschiedene Dinge zu sprechen, die einem Identität geben, also die einen Menschen ganz besonders ausmachen, und zu zeigen: Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Mensch ist gut so, wie er:sie ist!
Identität findet man nach und nach heraus. Wann bin ich mir denn endlich sicher über meine Identität?
Vielleicht bist Du Fußballer:in, Köch:in, Tänzer:in, Leser:in, Bastler:in, Auto-Fan, Künstler:in, Schreiber:in, Techniker:in, Gamer:in, Pfadfinder:in, Musiker:in oder irgendwas ganz anderes:
Ob etwas Deine Identität ausmacht, merkst Du, wenn Du es nicht machen kannst oder darfst.
Wenn Dir das ganz nachhaltig und dolle weh tut, dann ist es ein wichtiger Teil Deiner Identität. Und manchmal merkt man erst, wenn man etwas gefunden oder kennengelernt hat, dass es einem vorher gefehlt hat. So wurde auch ich nach und nach sicher in meiner Idenität.
Die Identität entdecken und annehmen
Das ist total normal. Während wir aufwachsen, entdecken wir ja die Welt.
Erst das, was in unserer direkten Nähe ist, was auch unsere Eltern und Verwandten, Freunde und Bekannten kennen.
Und irgendwann dann vielleicht auch noch mehr darüber hinaus – neue Dinge, die vor uns noch nie jemand so gesehen hat aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis.
Vielleicht entdecken wir dabei auch etwas, das uns das Gefühl gibt, vollständiger zu werden. Eine Fähigkeit, eine Tätigkeit oder auch etwas an uns, das plötzlich total wichtig und wertvoll ist, während wir uns früher daran gestört haben.
Dann können wir sagen: „Ja, auch das gehört zu mir! Das ist Teil meiner Identität!“ Und das gilt sogar auch für die Sachen, die man nicht so gerne an sich mag. Dass ich nicht gut sehen kann, sondern eine Brille brauche, ist zum Beispiel so etwas. Eine Zeitlang mochte ich das gar nicht an mir. Aber inzwischen habe ich es akzeptiert und sage: „Ich trage eine Brille, das bin ich.„
Identität ist mehr als eine einzige Sache
Aber die Brille ist nicht die einzige Sache, die meine Identität ausmacht. Ich lese zum Beispiel gerne, ich kann gut und schnell lernen, ich schreibe gerne, ich mag Kinder, ich liebe es zu reden und mir tolle Programme auszudenken, ich bin Christin und ich bin Bauerntochter. Das sind ein paar Aspekte von dem, was ich inzwischen über mich weiß und was mich zu mir selbst macht. Ich bin jetzt 36 Jahre und habe immer mehr das Gefühl: Ich bin mir sicher in meiner Identität!
Identität ändert sich und bleibt immer gleich. Wie kann ich mir da sicher sein, wer ich bin?
Das ist natürlich jetzt ein bisschen schwierig – wie soll das denn gleichzeitig gehen?!
Was Dir für Deine Identität jetzt gerade wichtig ist oder wie viel von Deiner Identität Du kennst, verändert sich.
Zum Beispiel war mir lange gar nicht klar, dass ich als erste in der Familie meines Vaters direkt nach der Schule studiert habe. Alle anderen hatten erst eine Ausbildung gemacht. Das ist etwas geworden, das meine Identität mit bestimmt: Ich bin eine Studierte, keine Handwerkerin.
Oder: Als Kind habe ich eine Zeitlang Korbball gespielt. Damals habe ich in jedes Freundschaftsbuch geschrieben, dass ich Korbballerin bin. Das schreibe ich heute nicht mehr. (Überhaupt schreibe ich nicht mehr so oft in Freundschaftsbücher, warum hört man als Erwachsene damit auf? Weil unsere Identität als Erwachsene uns sagt: Das macht man nicht mehr als Erwachsene Person. Tja.)
Dieser Teil von Identität verändert sich.
Oder: Als Kind habe ich eine Zeitlang Korbball gespielt. Damals habe ich in jedes Freundschaftsbuch geschrieben, dass ich Korbballerin bin. Das schreibe ich heute nicht mehr. (Überhaupt schreibe ich nicht mehr so oft in Freundschaftsbücher, warum hört man als Erwachsene damit auf? Weil unsere Identität als Erwachsene uns sagt: Das macht man nicht mehr als Erwachsene Person. Tja.)
Dieser Teil von Identität verändert sich.
Ein anderer Teil von Identität bleibt immer gleich.
Zum Einen das, was zu meiner Geschichte gehört. Auch wenn ich heute keine Korbballerin mehr bin, war ich mal eine. Das macht einen Teil meiner Kindheit aus und gehört zu mir und meiner Identität.
Zum Anderen bleibt das, was starke und wichtige Eigenschaften sind: ich lerne zum Beispiel sehr schnell und das gehört zu meiner Identität. Das ist etwas, das andere über mich sagen und ich über mich sage und was auch zu meinem Handeln passt.
Es gab mal Leute, die sich gefragt haben, ob ein Schiff, bei dem auf einer Reise nach und nach alle Teile ausgewechselt werden, immer noch dasselbe Schiff ist.¹ Ich würde sagen: Ja. Denn alles wurde so gemacht, dass das Schiff immer noch genauso aussieht, genauso heißt, genauso fährt. Alle Teile werden Teil von diesem Schiff. Was wäre Deine Antwort?
¹ Plutarch war es und hier kannst Du das in philosophisch nachlesen.
Über Identität kann man noch viel, viel mehr sagen. Eine wichtige Sache will ich noch aufschreiben:
Eine unsichere Identität macht verletzlich.
Stell Dir mal folgende Situationen vor:
- Jemand steht auf einem dünnen Balken und balanciert darauf.
- Jemand steht auf einem Teppich.
- Jemand steht barfuß auf der Erde.
Wer steht am sichersten? Der Mensch auf der Erde, oder?
Wenn ein Mensch in seiner Identität nicht sicher ist, ist er oder sie wie jemand, der auf einem Balken balanciert.
Wenn jemand gegen den Balken tritt, fällt die Person und tut sich weh. Vielleicht kann sie auch gar nicht mehr aufstehen. Das ist richtig, richtig gemein.
Es gibt Menschen, zu deren Identität gehören Dinge, die es schwerer machen, sich anzunehmen.
Stell Dir vor, Du wärst Fußballer und alle finden Fußballer doof – dann wäre es schwerer, die eigene Identität als Fußballer anzunehmen, oder? Das kann man auf viele Situationen übertragen.
Stell Dir vor, Du wärst Fußballer und alle finden Fußballer doof – dann wäre es schwerer, die eigene Identität als Fußballer anzunehmen, oder? Das kann man auf viele Situationen übertragen.
Es hilft auf jeden Fall, wenn man viele Dinge über sich lernt und nicht nur an einer einzigen Sache seine Identität festmacht.
Jemand, der auf dem Teppich steht, kann auch auf die Nase fallen. Stell Dir vor, eine andere Person zieht plötzlich heftig an dem Teppich. Vielleicht kann man sich fangen und stehen bleiben, aber vielleicht tut man sich auch weh. Bei der Identität kann es so sein, dass ein Mensch gaaaaaaaanz lange gesagt bekommen hat, wie freundlich er ist. Immer, wenn er gar nicht freundlich war, wurde das unter den Teppich gekehrt (vielleicht kennst Du das Sprichwort). Der Mensch denkt über sich: „Ich bin ein freundlicher Mensch!“ Und wenn dann der Teppich aufgedeckt wird, erschrickt die Person und erkennt: „Ich bin nicht der Mensch, für den ich mich gehalten habe.“ Ich habe das selbst einmal so erlebt. Jemand sagte etwas zu mir über mich und ich hatte das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird (vielleicht kennst Du auch dieses Sprichwort). Es hat eine Weile gedauert und viel Zuspruch von anderen Leuten, bis ich mir wieder sicher in meiner Identität war.
Am besten geht es dem Menschen, der Stärken und Schwächen zugesprochen bekommt und sich darin wiederfindet.
Wenn das eigene Bild und das Bild der wichtigsten Menschen um mich herum zusammenpasst,
wenn das, wie ich meine Identität ausdrücke und ausdrücken kann und was mir von mir und anderen zugesprochen wird übereinstimmt,
dann stehe ich sicher in meiner Identität.
Das ist, als hätte ich einen Ausweis, in dem alles Wichtige über mich steht und bestätigt: Das bist Du und das ist gut so!
Was weißt Du über Deine Identität?
Fühlst Du Dich sicher darin oder bist Du unsicher?
Wer könnte mit Dir über Deine Identität sprechen und Dir Gutes über Dich zusprechen?
Wenn Du dabei Hilfe brauchst, darfst Du mir gern schreiben.