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Familie.

Die meisten Menschen verbinden mit Familie Menschen aus mindestens zwei Generationen, zwischen denen Liebe, Geborgenheit und Vertrauen* besteht. 
Oder denken dabei an den Ort, an dem Du Dich gehen lässt. 
Immer mehr gilt in unserer Gesellschaft: Zur Familie gehört, wer sich so verhält.
„Familie ist da, wo Kinder sind“, formulierte 2006 der damalige Bundespräsident Horst Köhler. 
Diese Definition passt zu der vom Statistischen Bundesamt, das immer dann einen Haushalt als Familie erfasst, wenn dort zwei Generationen zusammenleben. Und dieser Teil der Definition passt auch zum Lebensgefühl der meisten Menschen: Um eine Familie zu sein, braucht es Kinder. Wie alt die sind, ist dem statistischen Bundesamt egal.
 
Allerdings verliert in der Alltagsdefinition von Familie die biologische Verwandtschaft an Bedeutung
Und das nicht mal so sehr wegen der vielfältigen Familienformen, die es gibt, sondern weil als Familie vor allem das zählt, was sich auch wie Familie anfühlt.

Aber was fühlt sich denn wie Familie an?

Familie, das ist Liebe, Geborgenheit und Vertrauen.
Also – im besten Fall. So sollte es sein.

Zugehörigkeit, Zusammenhalt, Verbundenheit, Zuwendung – so sollte Familie sein, finden viele Menschen. 
Für diese Gefühle ist biologische Verwandtschaft weniger bedeutsam als das richtige Verhalten. 
Vaterschaft und Mutterschaft sind immer weniger ein Status, den man hat oder auch nicht, sondern werden zu einem Qualitätsmerkmal: ein „richtiger“ Vater, eine „gute“ Mutter ist, wer sich seinem Kind zuwendet, sich um sie kümmert, sich für die Kinder aufgibt etc.

 

Und wenn es nicht so ist, sind wir dann keine „richtige“ Familie?
Diese Frage stellt sich dann natürlich fast von allein und ebenso natürlich will man unbedingt eine „richtige“, eine „gute“ Familie sein. Aber wann reicht es aus, was ich tue und wie ich mich verhalte? Wer entscheidet das? 
Darauf gibt es keine eindeutigen Antworten. Und das macht Druck.

 

Familie ist also nicht eine strukturelle Beschreibung (Vater, Mutter, Kind oder andere Rollen), sondern wird hergestellt, indem Zeit und Emotionen investiert werden.

Das ist nämlich einerseits eine neutrale Beschreibung („doing family“), andererseits aber auch moralisch besetzt.

Wer das nicht lebt, verhält sich nicht wie ein Familienmitglied. 
Wer sich nicht so verhält, hat auch nicht verdient, dass man ihn:sie so behandelt.

Mehr noch: Wer sich nicht so verhält, hat auch von anderen keinen Respekt verdient:

Familienbeziehungen sollten immer höchste Priorität haben!

Andererseits gilt gerade dann, wenn sich andere Familienmitglieder nicht wie solche verhalten:

Auf jeden Fall schuldest Du Deiner biologischen Familie nichts!

Die Bereitschaft, sich von Menschen zu trennen, die sich nicht so verhalten, wie es der Beziehung/dem Verhältnis zueinander eigentlich entspricht (also was man von ihnen erwartet oder meint erwarten zu können), ist deutlich gestiegen. Die Verbreitung von Wissen über „gute Pädagogik“, über den richtigen Umgang mit Kindern, ihren Gefühlen und Bedürfnissen hat auch dazu geführt, dass Menschen sagen: „Meine Eltern haben mich nicht so behandelt, wie es richtig gewesen wäre! Ihnen vertraue ich nicht mehr!“

Gerade in Fällen von Gewalt und Missbrauch ist das oft auch eine weise und vielleicht sogar lebensrettende, auf jeden Fall schützende Entscheidung. Doch führt die generelle erhöhte Bereitschaft umgekehrt zu einer Angst bei Eltern:

Was kann ich tun, damit mein Kind mich nicht eines Tages ablehnt?
Diese Angst macht Druck und führt nicht selten dazu, dass man Verhalten toleriert, was man eigentlich nicht tolerieren möchte oder sich bspw. als Großeltern nicht traut, Fragen zur Erziehung der Enkelkinder zu stellen.
 
 
Paradoxerweise geht es umgedreht fast genauso schnell: Das Herstellen von Familie durch entsprechendes Verhalten lässt einen schnell zur Familie gehören, indem man sich so verhält.

 

"Freunde sind die Familie, die man sich aussucht."

Familie ist in diesem Spruch nicht mehr die Verwandtschaftsstruktur, sondern ein Begriff für Nähe und Verbundenheit in selbst gewählten Beziehungen. Und gleichzeitig wird implizit auch gesagt: Familie ist wichtig! Man sucht sich Freunde, die dann Familie und gegebenenfalls Familienersatz sind. Denn Familie ist Teil von dem, was man als gutes Leben versteht

Oder mehr noch: Wir wissen, dass wir Orte brauchen, an denen wir uns gehen lassen können, an denen wir ganz wir selbst sind. 

Und die Familie gilt als genau dieser Ort.

Aber nicht nur auf der emotionalen Ebene sind Familien zentral.

Familien haben wichtige Funktionen für die Gesellschaft

Sie erfüllen Leistungen für die Gesellschaft bzw. von ihnen werden Leistungen erwartet: Sie sind für Gesundheitsfürsorge und Bildung verantwortlich, geben Kindern eine sichere Bindung und sozialen Rückhalt. In der Familie lernt man Gesellschaftsfähigkeit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Familien sorgen finanziell füreinander. Das Subsidiaritätsprinzip der Gesellschaft baut auf Familienzusammengehörigkeit auf.
Familie ist damit sowohl für einzelne Menschen wichtig als auch für die ganze Gesellschaft. Was in Familien passiert, ist deshalb von gesellschaftlichem Interesse.Und der Staat nimmt deshalb durch Politik Einfluss auf Familienleben. Damit immer mehr gilt: Zur Familie gehört, wer sich so verhält.

Was für mein Familienverständnis wichtig ist

Ich verstehe Familie sowohl als System aus verwandtschaftlichen Beziehungen als auch als Netzwerk von Menschen, die sich füreinander als Familie verhalten. Auch die Abgrenzung von Familienmitgliedern ist eine Beziehungsform. Die gesellschaftliche Moralisierung von Familienbeziehungen halte ich für problematisch, weil sie Familien unter Druck setzt. Zu meinem Menschenbild gehört der Respekt vor der Würde jedes Menschen, selbst dann, wenn jemand sich für „schlechtes“ Verhalten entscheidet. 

Oder wie ein ehemaliger Chef von mir sagte: „Es gibt kein Gesetz, das dumme Entscheidungen verbietet.“ Diese Haltung wird umso wichtiger, wenn Zugehörigkeit sich immer mehr am Verhalten entscheidet.

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